Was bleibt…

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© GEsamtschule Waltrop

Von Mi­cha­el Ogier­mann. Am Ende des Schul­jah­res 23/24 wird Mi­cha­el Al­ten­kamp nach 28 Jah­ren So­zi­al­ar­beit »anne Ge­samt« ein »Sab­ba­ti­cal« ein­le­gen. Zwar kommt er da­nach noch ein Schul­jahr zu­rück, es ist aber schon ein Ab­schied, wenn auch auf Ra­ten. Der Mi­cha, nur so wird er von Ge­ne­ra­tio­nen von Schü­lern ge­nannt, ist ein streit­ba­res »Ur­GE­stein« un­se­rer Schu­le, mit al­len Fa­cet­ten, die so eine Ge­samt­schul­kar­rie­re als So­zi­al­päd­ago­ge be­nö­tigt und pro­du­ziert.

Apro­pos pro­du­ziert: Mi­cha­el Al­ten­kamp ist nicht nur ein Mann des Wor­tes, er be­nö­tigt Bil­der und kon­kre­te Din­ge für sei­ne Wirk­sam­keit. So ei­ni­ge Din­ge las­sen sich nen­nen, die ent­stan­den, sich ver­än­der­ten oder auch wei­chen muss­ten. Der au­to­nom or­ga­ni­sier­te »Un­der­ground« sein Ti­tel prang­te noch lan­ge Jah­re nach sei­ner Schlie­ßung an der Wand des heu­ti­gen Tech­nik­zen­trums. Die »Streit­schlich­ter­pla­stik«, ein Blick­fang auf dem Schul­hof, er­hielt un­längst ei­nen zeit­geist­ge­mä­ßen Look, be­sitzt aber eine wech­sel­vol­le »Endspurt«-Geschichte. Nicht zu ver­ges­sen das fast in Ei­gen­re­gie er­rich­te­te Am­phi­thea­ter, das viel­leicht spek­ta­ku­lär­ste Bau­werk sei­nes Wir­kens, muss­te vor Jah­ren der Schul­hof­ge­stal­tung und der Bau­auf­sicht wei­chen. Über all die­se Pro­jek­te und Ein­rich­tun­gen lie­ße sich das lang­jäh­ri­ge und breit ge­fä­cher­te Wir­ken »Mi­chas« gut und aus­führ­lich dar­stel­len.

Ak­tu­el­ler und auch ein Stück per­sön­li­cher ist je­doch die Ga­ra­ge ne­ben der Turn­hal­le. Ei­nen Schön­heits­preis konn­te er mit ihr nie ge­win­nen — künst­le­risch und päd­ago­gisch be­trach­tet, rümpft der eine oder an­de­re eben­falls sei­ne Nase. Auch ist Al­ten­kamp si­cher, dass nach sei­ner Zeit die Bil­der an ihr weg sein wer­den! Die ge­wähl­te Bild­spra­che und die ver­wen­de­ten Icons von Gre­ta, dem Ham­ba­cher Forst und Bart Sim­son sind State­ments an der Fas­sa­de, die ex­em­pla­risch für das Auf­grei­fen der Ju­gend­kul­tur und de­ren Welt­sicht sind! Das un­über­seh­ba­re Er­geb­nis steht ur­wüch­sig und kraft­voll im Raum — durch­aus pro­vo­kant!

Al­ten­kamp war selbst ein­mal Ge­samt­schü­ler, ei­ner aus dem Pott. Rück­blickend sagt er: „Die Bock­müh­le hat mich zu ei­nem kri­ti­schen und selbst­be­wuss­ten Men­schen er­zo­gen. Weil die­se At­tri­bu­te mir sehr viel be­deu­te­ten, woll­te ich der Ge­samt­schu­le et­was zu­rück­ge­ben.“

Viel­leicht ist es die­se in­ti­me Kennt­nis der Men­schen und der Re­gi­on, die ihn an un­se­rer Schu­le zu ei­nem mach­te, der zwi­schen den Zei­len der Schü­ler hö­ren kann. Der weiß, dass sprach­li­che De­fi­zi­te in ei­ner wort­ge­wal­ti­gen Welt schnell zu so­zia­len und ko­gni­ti­ven Nach­tei­len füh­ren. Da­bei ist es egal, ob die­se De­fi­zi­te so­zia­le oder kul­tu­rel­le Ur­sa­chen ha­ben. „Mein Vor­teil, ich habe nie im El­fen­bein­turm ge­ses­sen. Ich ken­ne mich »un­ten« bes­ser aus als im pri­vi­le­gier­ten Pent­house. Ich weiß, wie un­ter­pri­vi­le­giert schmeckt, riecht und sich an­fühlt! Em­pa­thie ist mein wich­tig­stes Werk­zeug“, so for­mu­lier­te er es auf sei­nem Pa­pier, wel­ches er für un­ser Ge­spräch vor­be­rei­tet hat­te.So ge­er­det füllt er die Rol­le des Zu­hö­rers und des Ver­mitt­lers, aber auch des par­tei­li­chen Strei­ters für sei­ne Ju­gend­li­chen. Für all die, die zu ihm kom­men, die ihn be­nö­ti­gen, die sprach­los sind und oft kei­nen »An­walt« ha­ben. Die Pa­ra­me­ter der Leh­ren­den wa­ren da­bei nie sein Maß­stab. Nicht sel­ten setz­te er sei­ne Ak­zen­te den schu­li­schen Sicht­wei­sen ent­ge­gen, wohl­wis­send, dass vie­le und kon­tra­stie­ren­de Pi­xel ein Bild er­ge­ben. Bil­der sind für ihn wich­ti­ge Ge­hil­fen in die­sem Span­nungs­feld, wel­ches die so­zia­le Ar­beit an ei­ner Ge­samt­schu­le stän­dig aus­macht. Wa­ren es an­fangs selbst­ge­schnit­te­ne und ge­zeich­ne­te Sten­cils oder wild ge­pi­xel­te Com­pu­ter­aus­drucke, die Sicht­wei­sen vi­sua­li­sier­ten, so kam es im Lau­fe der Jah­re zu vie­len bild- und raum­grei­fen­den State­ments, Pla­ka­ten und Ob­jek­ten. Un­ver­ges­sen sei­ne Pla­kat­kam­pa­gne ge­gen das Sucht­ver­hal­ten. Ein Ban­ner for­mu­lier­te da­bei: „Sex ist auch kei­ne Lö­sung!“ Meist wur­den sei­ne Ak­tio­nen mit den so­ge­nann­ten »Pro­blem­schü­lern« ge­mein­sam ent­wickelt und um­ge­setzt. Manch­mal muss­te der So­zi­al­päd­ago­ge die­se an­ge­fan­ge­nen Ge­mein­schafts­pro­jek­te aber auch selbst zu Ende füh­ren. Der Pro­zess des An­fan­gens und des Ma­chens ist da­bei oft wert­vol­ler als das Er­geb­nis — Frag­men­te halt.  Für die Her­an­wach­sen­den und de­ren Ein­sich­ten über­le­bens­not­wen­dig. Sei­ne GE­samt­schu­le bie­tet den Raum für sol­che Wege und bie­tet kon­ti­nu­ier­lich Mit­strei­ter im Leh­rer­kol­le­gi­um, die wie er das Mit­hö­ren zwi­schen den Zei­len pro­bie­ren oder ähn­lich gut wie er be­herr­schen. Na­tür­lich kennt er den Ge­gen­wind und an­de­re Her­an­ge­hens­wei­sen. Er hat es ge­lernt mit ih­nen um­zu­ge­hen und da­bei sei­ne Pro­fes­sio­na­li­tät zu wah­ren. Sein Fa­zit steht aber: „Mein Sohn wäre an die­ser Schu­le ge­we­sen, wenn ich Wal­tro­per wäre.“

Die Wal­tro­per GE­samt­schu­le will ihre Schü­le­rin­nen und Schü­ler mit der Viel­falt und Am­bi­va­lenz un­se­rer Welt kon­fron­tie­ren und sie auf­zu­for­dern, sich die­ser zu stel­len. In den zu­rück­lie­gen­den Jah­ren war er in sei­ner Rol­le und mit den viel­fäl­tig­sten und fä­cher­über­grei­fend­sten Pro­jek­ten dar­an be­tei­ligt. „Das Stadt­ma­ler­pro­jekt, Kunst anne Schu­le, dat kann al­les! Da sto­ßen Schü­le­rin­nen und Schü­ler in He­mi­sphä­ren vor, die sie so wahr­schein­lich nicht hät­ten für sich er­obern kön­nen.“ Da iden­ti­fi­ziert sich ei­ner mit sei­ner Schu­le, mit sei­nen Kids, mit sei­nen Kol­le­gen. Er ist trotz vie­ler Ein­zel­ak­tio­nen und un­kon­ven­tio­nel­ler Wege ein aus­ge­mach­ter Team­play­er. Als Mit­be­grün­der des so er­folg­rei­chen Streit­schlich­ter­pro­jekts und Mit­or­ga­ni­sa­tor der »Fri­day for Future«-Aktivitäten an der GE­samt­schu­le Wal­trop ist sein Tun von Pio­nier­geist und Nach­hal­tig­keit ge­prägt. Tau­sen­de von Streit­schlich­tern hat er seit den 1990er Jah­ren mit aus­ge­bil­det. Mit sei­ner Schu­le hat er als er­ste Schu­le in NRW die Be­we­gung von Gre­ta Thun­berg zu macht­vol­len und kon­ti­nu­ier­li­chen De­mon­stra­tio­nen und Ak­tio­nen ge­führt und für un­se­re Zu­kunft ge­strit­ten. Ak­tu­ell steht er in viel­fäl­ti­gen Ak­tio­nen streit­bar und ak­tiv den po­li­ti­schen und so­zia­len Pro­ble­men un­se­rer Tage ge­gen­über, im­mer die nach­fol­gen­den Ge­ne­ra­tio­nen im Blick.

Was wünscht sich der trotz al­ler ju­gend­li­chen Kli­en­tel, Ak­ti­vi­tät, Pro­ble­men und Le­bens­freu­de, doch schon im sech­sten Jahr­zehnt be­find­li­che Soz­Päd für die­se Zu­kunft. „Ich wün­sche mir eine kri­ti­sche Schul­ge­mein­de, die der Welt da drau­ßen ge­prägt von Ego­is­mus, Kon­sum und Gleich­gül­tig­keit et­was ent­ge­gen­setzt, ganz gleich wie schwer und um­strit­ten die­ses Ide­al auch sein mag.“

Das könn­te fast ein Schluss­wort sein, Schluss ist aber noch nicht. Ein Jahr Aus­zeit von sei­ner Schu­le steht auf dem Plan. Das Jahr bie­tet ihm die Chan­ce, Din­ge zu rea­li­sie­ren, die bis­her war­ten muss­ten oder ein­fach mehr Zeit be­nö­ti­gen. Da­für wün­sche ich ihm Kraft und Durch­hal­te­ver­mö­gen. Na, und das Schul­jahr 2025/26 war­tet auf Dich und Dei­ne Bil­der! Ver­spro­chen!