Lehrerfortbildung

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Ein­drücke von un­se­rer Leh­rer­fort­bil­dung – von Bir­git Schä­fer. Eher zu­fäl­lig an dem denk­wür­di­gen Da­tum des 27. Ja­nu­ar, dem 80. Jah­res­tag der Be­frei­ung des Kon­zen­tra­ti­ons­la­gers Ausch­witz, fand eine schul­in­ter­ne Leh­rer­fort­bil­dung mit dem Ziel der Sen­si­bi­li­sie­rung des gan­zen Kol­le­gi­ums für ras­si­sti­sche Denk­mu­ster statt. Ein be­son­de­rer Dank für die Pla­nung gilt den Kol­le­gin­nen Jo­se­phi­ne Ruth Ha­mann, Chri­sti­na Os­sow­ski, Nilü­fer Sa­hin und Anna Tegt­mey­er.

Viel­leicht ha­ben sich vie­le ge­fragt, ob eine Fort­bil­dung für das gan­ze Kol­le­gi­um in Sa­chen Ras­sis­mus wirk­lich so dring­lich ist. Lehr­kräf­te sind doch ge­bil­de­te Men­schen, sie re­flek­tie­ren doch ihr Ver­hal­ten, ras­si­sti­sches Den­ken gibt es doch eher un­ter Schü­le­rin­nen und Schü­lern, die ohne nach­zu­den­ken ras­si­sti­sche Me­mes in Klas­sen­chats ver­schicken oder Mit­schü­le­rin­nen und Mit­schü­lern »dum­me Sprü­che« hin­ter­her­ru­fen… Die­ser Zahn wur­de uns dank des Vor­tra­ges von Pro­fes­sor Fe­rei­doo­ni schon am Vor­mit­tag ge­zo­gen. In ei­nem ziem­lich flot­ten Tem­po kon­fron­tier­te uns Ka­rim Fe­rei­doo­ni, der an der Ruhr-Uni Bo­chum Pro­fes­sor der Di­dak­tik der so­zi­al­wis­sen­schaft­li­chen Bil­dung ist, mit For­de­run­gen wie »Ras­sis­mus­kri­tik soll­te eine ganz nor­ma­le Kom­pe­tenz von Lehr­kräf­ten sein« und mit her­aus­for­dern­den Fra­gen wie…

  • Was hat Ras­sis­mus mir bei­gebracht?
  • Was pas­siert Ras­sis­mus­re­le­van­tes an mei­ner Schu­le?
  • In­wie­fern be­för­dern mei­ne Ma­te­ria­li­en, die ich im Un­ter­richt ver­wen­de, Ras­sis­mus?

Die­se Fra­ge war dann auch Teil ei­nes wei­te­ren Work­shops, in dem der Blick auf Schul­bü­cher, aber auch auf das Class­room- Ma­nage­ment ge­wor­fen wur­de. Spie­gelt sich die Di­ver­si­tät un­se­rer Kin­der in un­se­ren Schul­bü­chern und Sym­bo­len für Ta­fel­dienst etc. wi­der?

Ei­ni­ge Er­kennt­nis­se aus dem Vor­trag sei­en ge­nannt:

  • Dis­kri­mi­nie­rung kön­nen alle in der Schu­le er­fah­ren, denn Dis­kri­mi­nie­rung ist nicht an die Kon­struk­ti­on ei­ner an­de­ren Her­kunft ge­bun­den. Ras­sis­mus hin­ge­gen hat im­mer mit Macht­struk­tu­ren zu tun.
  • Man ver­bin­det mit Ras­sis­mus zu­nächst den klas­si­schen Ras­sis­mus, der von ei­ner Über­le­gen­heit der wei­ßen Ras­se aus­geht, die­ser wird in­tel­lek­tu­ell sehr wahr­schein­lich vom gro­ßen Teil des Kol­le­gi­ums für eine fal­sche Ideo­lo­gie ge­hal­ten.
  • Zah­len, die uns ge­nannt wer­den, ver­deut­li­chen aber, wie vie­le Men­schen un­ab­hän­gig von Bil­dung und so­zia­lem Druck ei­nem Neo-Ras­sis­mus oder Kul­tur­ras­sis­mus un­ter­lie­gen. Mit die­sem Be­griff ist ge­meint, dass es eine ver­meint­li­che Min­der­wer­tig­keit von Kul­tu­ren und die Vor­stel­lung von der Un­ver­ein­bar­keit von Kul­tu­ren in ei­nem gro­ßen Teil der Be­völ­ke­rung gibt.

Ein Bei­spiel: 41,4% ei­ner re­prä­sen­ta­ti­ven Be­fra­gung stim­men voll und ganz oder eher fol­gen­der Aus­sa­ge zu: Mus­li­men soll­te die Zu­wan­de­rung nach Deutsch­land un­ter­sagt wer­den. Dies und na­tür­lich auch ak­tu­ell die ge­sell­schaft­lich im­mer wei­ter nach rechts sich ver­la­gern­de De­bat­te um Mi­gra­ti­on zeigt, wie vie­le un­se­rer Schü­le­rin­nen und Schü­ler an­ders als 95% der sie un­ter­rich­ten­den Lehr­kräf­te von Ras­sis­mus be­trof­fen sind.

Ras­sis­mus ist ein Struk­tu­rie­rungs­merk­mal, wir er­ler­nen es von Kind­heit auf, ras­si­stisch zu sein. Schon 3- bis 4‑jährige Kin­der wis­sen, dass Män­ner in un­se­rer Ge­sell­schaft mehr Macht ha­ben als Frau­en, zu­gleich wis­sen sie, wer so aus­sieht und so heißt, als habe er mehr Macht in un­se­rer Ge­sell­schaft.

Wenn wir von wei­ßen Men­schen spre­chen, mei­nen wir da­mit nicht die Haut­far­be. Schließ­lich ist kei­ne Haut rich­tig weiß.  Mit weiß wer­den Men­schen be­schrie­ben, die von Ras­sis­mus pro­fi­tie­ren und des­we­gen über mehr Vor­tei­le, also Pri­vi­le­gi­en, ver­fü­gen. Zum Bei­spiel wird wei­ßen Kin­dern eher eine Emp­feh­lung fürs Gym­na­si­um ge­ge­ben als Schwar­zen und Kin­dern of Co­lor, auch wenn sie gleich ge­eig­net sind. Oder in Fil­men sind wei­ße Men­schen viel häu­fi­ger und po­si­ti­ver dar­ge­stellt als Schwar­ze und PoC. Wei­ße Men­schen gel­ten in un­se­rer Ge­sell­schaft als Norm.

Weiß-deut­sche Lehr­kräf­te ma­chen kei­ne Ras­sis­mus-Er­fah­run­gen und kön­nen sich aus­su­chen, wann sie sich mit Ras­sis­mus be­schäf­ti­gen. Für alle Men­schen mit ei­nem nicht deutsch-klin­gen­den Na­men und ei­nem »nicht-deut­schen« Aus­se­hen sieht das an­ders aus. Wir ha­ben je­den Tag mit Kin­dern zu tun, de­nen wohl­mei­nen­de Sät­ze wie „Das war doch gar nicht böse ge­meint“ nicht ge­hol­fen wird.

Ge­ra­de die kol­le­gia­le Fall­be­ra­tung, die am Ende des Vor­trags vor­ge­stellt wur­de, kann eine gute Mög­lich­keit sein, die ei­ge­nen blin­den Flecken zu er­ken­nen. Die­se Er­fah­rung durf­ten das Schul­lei­tungs­team und zwei wei­te­re Grup­pen im Kol­le­gi­um ma­chen.

Für mich war be­son­ders in ei­nem Work­shop in­ter­es­sant, wie die Neue Rech­te in den So­zia­len Me­di­en ver­su­chen, ihre na­tio­na­li­sti­sche Welt­an­schau­ung Ju­gend­li­chen na­he­zu­brin­gen. Glat­zen und Sprin­ger­stie­fel wa­ren ge­stern…, heu­te spricht der ver­meint­lich ganz nor­ma­le jun­ge Stu­dent von nor­ma­len Wer­ten wie Hei­mat und Fa­mi­lie. Wer soll da­ge­gen et­was ha­ben? Im Hin­ter­grund coo­le Mu­sik…, psy­cho­lo­gisch sehr ge­schickt.

Und jetzt weiß ich, war­um ich trotz In­sta­gram und Whattsapp nie ras­si­sti­sche oder se­xi­sti­sche Vi­de­os an­ge­bo­ten be­kom­me? Hier be­stimmt mein Al­go­rith­mus, mei­ne Fil­ter­bla­se, dass ich stän­dig In­for­ma­tio­nen er­hal­te, die mei­ne Hal­tung und mei­ne Wer­te be­stä­ti­gen. Das wuss­te ich schon, aber dass es bei Tik­tok an­ders ist, wuss­te ich nicht. Hier be­stimmt die Viel­zahl der an­ge­klick­ten Vi­de­os, was al­len an­ge­bo­ten wird. Und so wer­den un­se­re Schü­le­rin­nen und Schü­ler über­schwemmt mit In­hal­ten, ge­gen die wir von Sei­ten der Schu­le kaum an­kom­men.

Jouhaina Lahchaichi
© Mel­la Steckel­frau

Ein ech­tes High­light war auf je­den Fall der kom­plett frei vor­ge­tra­ge­ne Poet­rys­lam »Lee­res Blatt« von Jo­u­hai­na Lah­chai­chi nach der Mit­tags­pau­se, die ihre Schul­ge­schich­te nach ih­rer be­wuss­ten Ent­schei­dung für ein Kopf­tuch in sehr ein­drück­li­che Wor­te brach­te. Hört sel­ber bei You­Tube. Wer da­nach noch glaub­te, frei von Vor­ur­tei­len zu sein, täuscht sich nach mei­ner An­sicht nach. Der heu­ti­ge Tag war erst ein An­fang, es gibt noch viel zu tun.

Bir­git Schä­fer, Spre­che­rin der Pro­jekt­grup­pe
Schu­le ohne Ras­sis­mus- Schu­le mit Cou­ra­ge