Diogenes wieder modern

GEflüster

Sta­nis­lav (16). Die frei­wil­li­ge Re­du­zie­rung des Be­sit­zes — auch Mi­ni­ma­lis­mus ge­nannt — ist mitt­ler­wei­le weit ver­brei­tet. Der Grund da­für ist der Über­schuss an ma­te­ri­el­len Gü­tern, der noch nie so spür­bar war wie heu­te. Ge­ra­de jetzt im Früh­jahr steht vor der Tür­macht sich die­ser Wunsch be­son­ders be­merk­bar. Der Früh­ling ist die Jah­res­zeit, in dem wir ent­rüm­peln. Sich frei von Kla­mot­ten und Ge­gen­stän­den zu ma­chen kann so be­frei­end sein. Üb­ri­gens ist die Idee, we­ni­ger zu ha­ben, gar nicht neu. Prin­zi­pi­en des Mi­ni­ma­lis­mus wur­den schon in der An­ti­ke von Ky­ni­kern for­mu­liert. Ky­nis­mus war zwar eine Phi­lo­so­phie mit den Schwer­punk­ten auf dem ethi­schen und mo­ra­li­schen Skep­ti­zis­mus, aber auch auf der Selbst­ge­nüg­sam­keit. Ge­nau aus die­sem Grund scheint Dio­ge­nes von Si­nope der auf­fäl­lig­ste Ver­tre­ter des Ky­nis­mus zu sein, weil er alle ma­te­ri­el­len Wer­te auf­gab, ein­schließ­lich sei­nes Zu­hau­ses. Die Phi­lo­so­phie der Ky­ni­ker ba­sier­te dar­auf, dass das größ­te Glück nur so­mit er­reicht wer­den kann.

Dio­ge­nes schlief in ei­nem Wein­fass, trank aus­schließ­lich aus der Hand, also lehn­te jede Art von Be­sitz­tum ab. Die­ses Ver­hal­ten war ein Aus­druck sei­ner Le­bens­ein­stel­lun­gen und die Aus­sa­gen sei­nes Leh­rers, na­mens An­ti­sthe­nes, be­schrieb die fol­gen­der­ma­ßen:

„Ich schla­fe, esse und trin­ke, wo es mir ge­fällt, und ich habe das Ge­fühl, dass mir die gan­ze Welt ge­hört. Ich be­sit­ze nicht, da­mit ich nicht be­ses­sen wer­de.”

Mi­ni­ma­lis­mus setzt sich zum Ziel, die Le­bens­qua­li­tät ei­nes Men­schen durch die Ab­kehr von der Kon­sum­kul­tur zu ver­bes­sern. Nun stellt sich aber die Fra­ge: War­um strebt man nach im­mer mehr und mehr? Eine Ant­wort lie­fert die »Ma­slow­sche Be­dürf­nis­py­ra­mi­de«, wo­nach ein Mensch, nach Be­frie­di­gung sei­ner Grund­be­dürf­nis­se, nicht da­mit auf­hö­ren kann. Die mei­ste Zeit sei­nes Le­bens ist er stän­dig auf der Su­che nach Ex­pan­si­on, egal ob ma­te­ri­ell oder im­ma­te­ri­ell. Je mehr man er­wor­ben hat, de­sto schwie­ri­ger wird es für ihn, vor­an­zu­kom­men. Auf ein­mal fühlt es sich so be­la­stend an, dass man auf­hö­ren muss. Die op­ti­ma­le Lö­sung: Der Mi­ni­ma­lis­mus.

Ich selbst bin ein Un­ter­stüt­zer des mi­ni­ma­li­sti­schen Le­bens­stils. Ich hin­ter­fra­ge viel und ach­te vor­wie­gend auf das In­ne­re und we­nig auf das, was mir die Au­ßen­welt auf­zwingt. Au­ßer­dem habe ich nie wirk­lich reich ge­lebt, fühl­te mich aber so, als ob ich al­les Nö­ti­ge habe. Mir scheint, dass ge­nau die­ser Um­stand dazu bei­trug, dass ich nun kein In­ter­es­se dar­an habe, mehr Sa­chen zu ha­ben. Ich glau­be, dass ich mit­hil­fe von In­ter­ak­ti­on mit Men­schen, die mir im Gei­ste na­he­ste­hen, und der Kunst to­tal zu­frie­den sein kann.

Dar­über hin­aus habe ich das Stre­ben, für eine ge­wis­se Zeit nach In­di­en zu rei­sen, um in ei­nem Klo­ster ganz ohne per­sön­li­ches Ei­gen­tum zu le­ben. In die­ser Zeit pla­ne ich mich in Selbst­ge­nüg­sam­keit her­aus­zu­for­dern. Ich füh­le mich von dem Le­bens­stil Dio­ge­nes’ an­ge­zo­gen und dem­entspre­chend muss­te ich auch den ky­ni­schen Skep­ti­zis­mus über­nom­men ha­ben, weil ich selbst­ver­ständ­lich oft auf die Ver­ur­tei­lung sto­ße.

Die Selbst­ge­nüg­sam­keit be­zieht sich ei­gent­lich nicht nur auf den ma­te­ri­el­len Be­sitz. Auf­er­leg­te Über­zeu­gun­gen, die die Neu­an­fän­ge un­ter­drücken sind in sol­chen Si­tua­tio­nen eben­falls auf­zu­ge­ben. Mei­ner Mei­nung nach soll­te man sich im­mer dar­an er­in­nern: Wenn vie­le Men­schen sich in et­was ei­nig sind, heißt es nicht, dass es un­be­dingt rich­tig ist. Im­mer, wenn wir das Ge­fühl ha­ben, dass wir et­was Fal­sches ma­chen, soll­ten wir uns fra­gen, ob wir es wirk­lich falsch fin­den. Wer kann sa­gen, dass es kei­ne von au­ßen auf­ge­zwun­ge­ne Mei­nung ist, die uns nur be­la­stet und uns am Le­ben hin­dert?

„Wer recht er­ken­nen will,
muss zu­vor in rich­ti­ger Wei­se
ge­zwei­felt ha­ben.”
(Ari­sto­te­les , Phi­lo­soph, 384 ‑322v. Chr.)

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Aus­zug aus der ge­setz­li­chen Schul­ord­nung (BASS): Schü­ler­zei­tun­gen fal­len nicht un­ter die Ver­ant­wor­tung der Schu­le, son­dern ge­hö­ren zum pri­va­ten Tä­tig­keits­be­reich der Schü­le­rin­nen und Schü­ler. Dar­aus folgt, dass für Schü­ler­zei­tun­gen nicht der für die Schu­le als öf­fent­li­che Ein­rich­tung gel­ten­de Grund­satz der Un­par­tei­lich­keit (§ 2 Ab­satz 8 SchulG) gilt. In Schü­ler­zei­tun­gen kann auch zu po­li­ti­schen Ta­ges­fra­gen Stel­lung ge­nom­men und Par­tei er­grif­fen wer­den. Auch das für die Schu­le gel­ten­de Wer­be­ver­bot (§ 99 Ab­satz 2 SchulG) gilt nicht für Schü­ler­zei­tun­gen, so dass sie auch An­zei­gen Au­ßen­ste­hen­der ent­hal­ten kön­nen.